Essen, fressen und nicht Verwertbares ausscheiden: Das ist nichts Ungewöhnliches. Doch der Regenwurm baut dadurch Boden auf. Ohne ihn beissen wir Menschen wortwörtlich auf Granit. Ein Loblied auf einen Bodenerschaffer.
Text: Corinne Päper
Er ist blind, stumm, taub, besitzt fast keinen Geruchssinn, atmet über die Haut, ist zweigeschlechtig und hat fünf bis sieben Herzen: der gemeine Regenwurm (Lumbricus terrestris). Das unscheinbare Wesen gräbt Tunnel, zieht Pflanzenreste in seine Röhren, frisst diese und hinterlässt seine Ausscheidungen. Simple Aktivitäten, welche die Bodengesundheit aber massgebend beeinflussen. Das wusste schon Darwin, der den Tieren sein letztes Buch widmete und dafür von seinen Zeitgenossen verhöhnt wurde. Mittlerweile ist der Spott verflogen und der Regenwurm als «Boden Architekt» rehabilitiert. Nicht ohne Grund: Sind viele Würmer vorhanden - auf einer extensiven Weide pro Quadratmeter etwa 400 bis 500 - verdauen sie jährlich bis zu 10 Kilogramm abgestorbene Pflanzenreste pro Quadratmeter. Pro Hektar kommen zwischen 40 und 100 Tonnen Wurmkot zusammen. So «wächst» der Boden auf wenig bearbeiteten Äckern jährlich um 0.5 Zentimeter, auf Wiesen sogar um 1.5. Um diese enorme Leistung zu erbringen, fressen die Tiere täglich das zehn bis dreissigfache ihres Körpergewichts und bewegen sich auf Futtersuche pro Jahr ungefähr 20 Meter.
Belüfter, Entwässerer und Wasserspeicherer
Mit ihrem Schleim vermischen Regenwürmer abgestorbenes Pflanzenmaterial mit Bodenteilchen und Mikroorganismen und produzieren so stabile Bodenkrümel. Diese wiederum nehmen Wasser und Nährstoffe leichter auf und speichern sie besser. Das beugt Erosion vor. Bei Regen sorgen die vertikalen Gänge zudem dafür, dass das Wasser leichter abfliesst. Das geschieht in Böden mit Regenwürmern fast zehnmal schneller als in solchen ohne. Die Wurmröhren belüften zudem den Boden und fördern das Pflanzen- und Wurzelwachstum, indem Wurzeln diese Gänge besiedeln und Nährstoffe aus den Kotausscheidungen aufnehmen. Letztere sind sehr nährstoffreich: Regenwurmkot enthält durchschnittlich fünfmal mehr Stickstoff, siebenmal mehr Phosphor und elfmal mehr Kalium als der umliegende Boden. Weil sich die Tiere drei bis sechs Meter in die Tiefe graben, gelangen diese Nährstoffe überall in den Boden - auch in die unteren Schichten - und erhöhen somit die Bodenfruchtbarkeit. Als «Boden Hygieniker» verdaut Lumbricus Terrestris zudem viele von Schädlingen und Pilzen befallene Blätter und tötet die Parasiten dadurch. Ausserdem verbreitet er insektenabtötende Nematoden, sogenannte Fadenwürmer sowie Pilze und reguliert so viele Schädlinge.
Boden im Frühjahr und Herbst ruhen lassen
Im Frühjahr und im Herbst sind Regenwürmer besonders aktiv, wenn es nicht zu trocken und zu kalt ist. Meist dann, wenn Menschen zum Pflug oder zu schnell rotierenden Geräten greifen. Liegt der Verlust beim Pflügen bei rund 25 Prozent, können rotierende Geräte bis zu 70 Prozent einer Population auslöschen. Geschieht die oberflächliche Bodenbearbeitung dagegen bei Trockenheit oder Kälte, hat das weitaus geringere Auswirkungen, da sich der gemeine Regenwurm dann in tieferen Erdschichten befindet. Da sie sich nur langsam entwickeln und gerade acht bis acht bis zwölf Kokons pro Jahr legen, beeinträchtigt eine übermässige Bodenbearbeitung im Frühjahr und Herbst ihre Population erheblich.
Ohne Futter wenig Bewegung
Der Bestand an Regenwürmern verringert sich nicht nur bei unsachgemässer Bodenbearbeitung. Fehlt das Futter, nehmen die Tiere sogar von sich aus Reissaus.
Doch was mögen sie? Beispielsweise abgestorbene Wurzeln, Blätter, Gräser, leicht verrotteter Mist oder Ernterückstände. Da Regenwürmer keine Zähne haben, können sie das «Ausgangsmaterial» nicht direkt fressen. Deshalb ziehen sie es nachts in ihre Gänge, wo Mikroorganismen es in zwei bis vier Wochen so zersetzen, dass es die Tiere aufnehmen können.
Regenwürmer benötigen nicht nur Futter, sondern auch feuchte Böden, weil sie täglich bis zu 20 Prozent ihres Körpergewichts an Schleim und Ausscheidungen verlieren. Deshalb mögen sie Dauerbegrünungen, welche die Verdunstung verringern und die Erde feucht halten. Mit schweren Maschinen bearbeitete verdichtete Böden verringern dagegen ihre Aktivitäten.
Auch Pestizide haben Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Tiere. Fressen sie pestizidbelastete Pflanzenreste, tötet sie das meist nicht gleich, diese Stoffe beeinträchtigen jedoch die Fortpflanzung und das Wachstum der Regenwürmer. Herbizide eliminieren zudem «Beikräuter», die als Bodenbedeckung und Nahrung für sie wichtig sind. Auch mineralische, chemische Dünger verringern ihre Bestände. So konnte in einem Langzeitversuch in der Schweiz nachgewiesen werden, dass die Regenwurmpopulation bei konventioneller Düngung 40 Prozent niedriger ist als bei einer organischen.
Weniger Bodenproduktivität, mehr Überschwemmungen
Regenwürmer sind wichtige Bindeglieder im Naturnetz. Ohne sie wäre die Nährstoffzufuhr im Boden begrenzt. Zudem wäre dieser nicht gut durchlüftet - was zu starker Bodenverdichtung führte. Das wiederum beeinträchtigt die Bodenproduktivität und erhöht das Überschwemmungsrisiko. Genügend Gründe also, um den Regenwurm mehr wertzuschätzen und Lebensräume für ihn zu schaffen. Das ist einfach machbar, wenn wir nicht immer das Mittel des geringsten Widerstands wählen - etwa die Bodenfräse.
So fördern wir Regenwürmer
Ausreichend Nahrung auf Beeten und Äckern bieten. Etwa Gründüngung, Mulch oder Pflanzenreste.
Auf Pestizide verzichten, die ihnen und anderen Bodenorganismen schaden.
Boden schonend bearbeiten (mit der Grabgabel lockern, nicht fräsen)
Bodenverdichtung durch schwere Maschinen vermeiden
Den Boden kontinuierlich mit organischem Material füttern
Organisch düngen (Tier-Exkremente, Grün- und Rüstabfälle)
Quellen: Regenwürme - Baumeister fruchtbarer Böden, Merkblatt 1610, 2022, FiBL, Forschungsinstitut für biologischen Landbau, Frick. Pädagogische Hochschule Bern, Regenwürmer, Unterrichtshilfe.
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