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Ein Kommen und Gehen

Corinne päper

In der Einkaufsmeile von Winterthur stehen immer wieder Läden über längere Zeit leer. Die Altstadt hat sich immer schon verändert, meinen die einen. Es ist ein grundlegender Strukturwandel, die anderen. Eine Auslegeordnung.


In der Altstadt von Winterthur wechseln die Läden ständig. Es ist ein Kommen und Gehen.
Läden wechseln häufig in der Altstadt von Winterthur

Altstadt Waren im 19. Jahrhundert hauptsächlich Stallungen, Lagerstätten und Handwerksbetriebe im Erdgeschoss der Häuser in der Winterthurer Altstadt zu finden, wichen diese im Zuge der Industrialisierung grossen Ladenfensterfronten. Die «Handwerkerstatt» wurde zur «Einkaufsstadt». Das uns seit 150 Jahren vertraute Konzept wird aber immer mehr in Frage gestellt. Das zeigt sich auch in Winterthur, wo manches Ladenlokal im Erdgeschoss über längere Zeit leer steht. Aktuell betrifft das gemäss einer Recherche der Immobilienplattform Homegate für die «Winterthurer Zeitung» im Postleitzahlenbereich 8400 aber gerade 13 Ladenlokale.


Eine nähere Betrachtung bringt noch mehr Überraschendes zutage: Die Zahl der auf Homegate zu vermietenden Ladenlokale ist zwischen 2018 und 2022 um fünf Prozent gesunken. Zudem sind Ladeninserate weniger lang ausgeschrieben als noch vor fünf Jahren. Also alles nicht so schlimm? «Ja», findet Bea Linder, Geschäftsführerin der Vereinigung «Junge Altstadt». «Schon vor zwanzig Jahren sprach man von leer stehenden Läden im Erdgeschoss. Das ist nichts Neues.» Auch im «House of Winterthur», das die Vermarktung der Eulachstadt verantwortet, gibt man sich über die Entwicklung an der Ladenfront in der Winterthurer Innenstadt nicht alarmiert.


Quersubventionierung schwierig

Dennoch ist eine Veränderung im Gang: Das bestätigt Fritz Zollinger vom Amt für Stadtentwicklung: «Der Megatrend Onlineshopping trifft auch Winterthur. Der dadurch ausgelöste Strukturwandel ist nicht aufzuhalten.» Ein weiterer Grund: die Demografie. Fast die Hälfte der Ladenbetreiber in der Winterthurer Innenstadt muss in den nächsten zehn Jahren eine Nachfolge finden. Dadurch werde sich der Ladenmix in der Altstadt nochmals stark verändern, erläutern die Real Estate Area Directors Sven Herzog und Ronny Hofmann in ihrer Masterarbeit «Innenstädte als Einkaufsstandort unter Druck – Lösungsansätze durch ein übergeordnetes Citymanagement für die Altstadt Winterthur».


Dass steigende Mieten vermehrte Ladenleerstände verursachen, lässt sich mit Zahlen nicht erhärten: Gemäss Immo-Monitoring von Wüest und Partner geraten die Ladenpreise nämlich immer mehr unter Druck. Um die Detailhändler trotz stabiler (hoher) Mieten zu entlasten, böte sich eine Quersubventionierung von «oben nach unten» an. So könnten die Wohnungsmietzinseinnahmen die Ladenmietpreise vergünstigen, während es früher genau umgekehrt war. Für Zollinger funktioniert das am ehesten bei Grossüberbauungen mit vielen Wohnungen. «In einem Altstadthaus gibt es jedoch nur wenige, deshalb ist eine Quersubvention deutlich schwieriger.»


Neue Vermietungsstrategien

Um Leerstände zu vermeiden, nutzen Immobilienverwalterinnen schon heute unterschiedliche Strategien. So legt Terrestra besonderen Wert auf den «Nutzungsmix». Das zeigt sich beispielsweise bei der Renovation des Hauses an der Steinberggasse / Ecke Metzggasse: Dort, wie auch in anderen Terrestra-Objekten, sollen vor allem Kleinbetriebe wie Handwerker oder Kreative Mietflächen finden. Das fördere eine attraktive und belebte Innenstadt, da sich diese Angebote von jenen der Handelsketten unterschieden, welche die «Einkaufsmeilen» der Schweizer Innenstädte grösstenteils dominierten.


Ähnliche Überlegungen macht man sich bei Wincasa: «Es ist besser abzuwarten, bis man den richtigen Mieter gefunden hat», sagt Hofmann. «Gibt es an einer bestimmten Lage schon ein Nagelstudio, braucht es in unmittelbarer Nähe kein zweites.» Um so zu handeln, muss man nahe am Markt sein. Das sei bei vielen Immobilienverwaltungen aber nicht der Fall, sagt Bea Linder: «Ist ein Lokal im Besitz einer Winterthurer Verwaltung, sind marktverträgliche Preise und Mietzinsreduktionen nach Verhandlungen eher üblich. Bei Immobilien, die einer Pensionskasse gehören oder einer weit entfernten Immobilienverwaltung, steht dagegen die Rendite im Vordergrund und nicht der ausgewogene Ladenmix.»


Einkaufen als Erlebnis

«Trotz aller Herausforderungen bleibt die Winterthurer Altstadt attraktiv», sagt Zollinger. «Sie wird sich künftig aber mehr zum Begegnungs-, Kultur- und Event-Ort entwickeln.» Das ist bereits heute zu beobachten: So ergab eine Umfrage der «Jungen Altstadt» 2020 unter 500 Passanten, dass die Mehrheit wegen der Restaurants und Cafés in die Stadt geht und weniger, um einzukaufen. Dass Winterthur zur «Shopping-Wüste» wird, ist für Linder aber undenkbar: «Läden und Gastro begünstigen einander gegenseitig. Nach dem Einkauf auf dem Wochenmarkt besuchen viele beispielsweise ein Café oder die umliegenden Läden.»


Damit die Altstadt als grösste zusammenhängende Fussgängerzone der Schweiz langfristig Shopping-Erlebnisse biete, müsse man sich Gedanken zur Nutzung der Läden im Erdgeschoss machen, meint Zollinger. «Ladenlokalitäten könnten beispielsweise vermehrt mit Pop-ups belegt oder an weniger publikumsorientierten Lagen von handwerklichen Betrieben genutzt werden.» Gefragt seien auch neuere Ladenformate. Etwa solche, die gleichzeitig als Abholstation für online bestellte Waren dienen, ein Erlebnis versprechen oder als digitaler Kiosk und Veranstaltungsraum genutzt werden. Ein Beispiel? «Die im Juni 2022 eröffnete Konzeptfiliale der Zürcher Kantonalbank, die Beratungsdienstleistungen mit einer Boutique, einer Bar und einem Forum verbindet.» Ob sich dieses Modell durchsetzen wird, ist noch ungewiss: «Die ZKB wird zwei Jahre lang testen und beobachten, wie Kundinnen und Kunden es nutzen.»


Übergeordnete Koordination fehlt

Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, sich kulturell beteiligen und Anlässe besuchen: Die Mischung sorgt für eine attraktive Altstadt. Damit das so bleibt, braucht es nicht nur das Engagement der Ladenbesitzenden und der Immobilienverwaltungen, sondern auch weiterer Akteure. Etwa das der Vereinigung «Junge Altstadt» mit Marketingaktivitäten wie einer Winterthurer Geschenkkarte, einem Kinderflohmarkt oder der Weihnachtsbeleuchtung. Auch das «House of Winterthur» hat die Aufgabe, die Altstadt von Winterthur populär zu machen. Beispielsweise mit Altstadtführungen. Daneben setzen sich auch Private für die Altstadt ein. Etwa mit dem «Winti Stadtleu», einer Kunstaktion im öffentlichen Raum, bei der im Oktober bis zu 118 bunt bemalte Löwen in der Altstadt platziert werden. Das ist schon viel, doch es wirkt «unkoordiniert», bemängeln Herzog und Hofmann in ihrer Masterarbeit. Es fehle eine übergeordnete Koordinationsstelle – die eines Citymanagers –, die all diese Bemühungen aufgrund einer Vision für die Altstadt aufeinander abstimme.


Der Mix machts

Weiteren Handlungsbedarf orten Herzog und Hofmann im Flächenmanagement, um Leerstände zu vermeiden und für einen ansprechenden Mietermix zu sorgen. Dass es hier einer koordinativen Stelle bedarf, hat die Stadt erkannt: «Bis 2026 wird das Amt für Stadtentwicklung ein ‹Center-Management-Konzept› ausarbeiten», sagt Zollinger. «Damit soll nicht nur für die Altstadt, sondern auch für alle anderen Stadtgebiete mit einer Zentrumsfunktion aufgezeigt werden, wie vielfältig Räumlichkeiten im Erdgeschoss genutzt werden können. Thematisiert werden dabei auch Fragen zum Umgang mit Leerständen, Zwischennutzungen oder preisgünstigem Gewerberaum.»







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